Zu Anfang einer Paddlerkarriere steht häufig die Frage „Was ist das richtige Paddel für mich?“ Während es im Wildwasser hauptsächlich um Blattgröße, Schaftlänge und Blattform geht, haben wir Seekajak-Fahrer noch eine viel grundsätzlichere Frage zu beantworten: „Grönland- oder Europaddel?“ Manchmal, wie in meinem Fall (ich bin ja sozusagen ein „konvertierter“ Wildwasserpaddler) stellt sich diese Frage auch erst nach Jahren sehr aktiven Paddelns.
Mein erstes Grönlandpaddel hatte ich vor einigen Jahren auf dem Chiemsee in der Hand. Zu der Zeit bin ich noch mehr Wildwasser als Seekajak gepaddelt, hatte aber trotzdem schon ein langes schmales Blatt für mein Touringpaddel und dachte, so groß kann der Unterschied doch gar nicht sein. Weit gefehlt! Ich kam mit dem Teil mehr schlecht als recht vorwärts und der erste Rollversuch endete mit einem Unterwasserausstieg. Was für eine Blamage! Ich habe das Grönlandpaddel aus der Hand gelegt und für mehr als ein Jahr keinen weiteren Versuch unternommen, den Umgang damit zu lernen. Allerdings hat diese Episode so sehr an meinem Ego gekratzt, dass ich mir eines schönen Sommertages einfach aus einer Laune heraus selbst ein Grönlandpaddel bestellt habe, ein edles zweiteiliges Carbonteil der Firma Kajak Sport. Und was soll ich sagen? Es kam, sah und siegte… Schon direkt nach dem Auspacken merkte ich, dass dieses Paddel ganz anders in der Hand lag, als das Testobjekt ein Jahr zuvor. Die ersten Paddelschläge auf dem Wasser fühlten sich ungewohnt an, weder flache noch hohe Stütze funktionierten wie gewohnt aber ich konnte problemlos rollen. Mein Stolz war wieder hergestellt… Aber was war schiefgelaufen beim ersten Versuch..?
Grönlandpaddel aus Holz und aus Carbon auf dem Kajakdeck
Ein Grönlandpaddel hat ein paar Eigenschaften, die es von einem Europaddel unterscheiden. Das extrem lange schmale Blatt hat eine deutlich andere Kraftverteilung während der Durchzugsphase. Es bietet weder dem Wind (oberes Blatt) noch dem Wasser (unteres Blatt) denselben Widerstand. Das bedeutet auch, dass „paddeln aus dem Bizeps“, also durch hohe Kraftwirkung auf das Blatt, nicht funktioniert. Die Zauberwörter für das Grönlandpaddel lauten Rotation und Frequenz. Eine saubere Körperrotation zusammen mit einer etwas höheren Frequenz sorgen für denselben Vortrieb bei geringerer Kraftbelastung für Arme, Schultern und Gelenke. Das ist einer der häufigsten genannten Vorteile des Grönlandpaddels (neben der tollen Optik natürlich!).
Der zweite große Unterschied ist die Verschränkung. Die meisten Euro-Touringpaddel werden mit Blattverschränkungen zwischen 30° und 60° gepaddelt. Im Wildwasser fahre ich selbst 45°, im Touringbereich mit dem Europaddel meistens 30° (also schon deutlich weniger Verschränkung als im Wildwasser). Das Grönlandpaddel, egal ob einteilig oder teilbar, hat keine Blattverschränkung. Der Paddler muss sich im ersten Moment also umstellen, was die Paddelhaltung und -führung betrifft. Es gibt beim Grönlandpaddel auch keine klare Führhand.
Der Wasserfluss am Paddel vorbei während der verschiedenen Phasen des Paddelschlags unterscheidet sich deutlich zwischen Grönland- und Europaddel. Das hat zur Folge, dass für bestmöglichen Vortrieb das Blatt beim Grönlandpaddel leicht nach außen geneigt wird, während das Euro-Paddel typischerweise zum Boot geneigt wird. Die Handhaltung beim Grönlandpaddel im Schulterbereich des Paddels unterstützt diese natürliche Neigung bei Paddeln mit einer ausgeprägten Schulter (wie zum Beispiel dem oben erwähnten Inuksuk von Kajak Sport). Um Blasenschlag und übermäßige Verwirbelungen im Wasser zu vermeiden (die Kraft kosten ohne Vortrieb zu erzeugen) sollte man das Blatt im Wasser sich selbst ausrichten lassen. Paddelführung mit harter Hand wird beim Grönlandpaddel sofort durch mangelnden Vortrieb bei gleichzeitiger Blasenbildung an der Hand bestraft. Absolute Unkenntnis dieser Tatsache und das Fehlen einer ausgeprägten Schulter waren im Nachhinein (neben anderen) Gründe dafür dass ich beim ersten Versuch mit dem Grönlandpaddel überhaupt nicht zurechtkam.
Mit dem Grönlandpaddel auf der Nordsee, das Europaddel ist als Ersatz dabei.
Fotos: Anne Stephan und
Christoph Kunz
Zeitsprung ein paar Jahre nach vorn, zu meinem ersten Ausflug auf die Insel der hohen Gezeitenunterschiede, Jersey im Ärmelkanal. Mein erster Besuch dort war von einer anhaltenden Periode mit Starkwind und hoher Dünung plus Windsee geprägt (mehr als 3 Meter im offenen Kanal). Da wir trotzdem paddeln wollten, sind wir in einer einigermaßen geschützte Bucht Brandungspaddeln gegangen. Ich hatte mein neues Grönlandpaddel schon einige Wochen und fühlte mich gut damit. Also habe ich mich entschieden auch mit dem Grönlandpaddel in die Brandung zu gehen. Es hat auch ganz gut geklappt. Meistens. Was mir die Wellen sehr deutlich gezeigt haben ist, dass die Art zu stützen, wie ich sie vom Wildwasser kannte, mit dem Grönlandpaddel nicht überzeugend funktionierte. „Blatt aufs Wasser und drauflehnen“ sorgte nicht für übermäßige Sicherheit in der Welle. Eine besonders schöne hereinkommende Welle hat mir dann auch gleich mal gezeigt, wie sie das meinte. Heck angehoben, Boot quergeschlagen (Bug- und Heckruder mit dem Grönlandpaddel hatte ich auch noch nicht so sehr verinnerlicht wie ich dachte) und dann habe ich ins Leere gestützt. Das Ende vom Lied: ich fand mich in ca. 60cm tiefem Wasser hundert Meter vom Strand entfernt mit dem Kopf im nassen Element wieder während um mich herum die brechende Welle toste und tobte. Zur Überraschung aller, mich eingeschlossen, setzte ich zur Rolle an und war im Nu wieder mit dem Kopf in der Luft aufrecht im Boot! Warum? Weil das Paddel gut in der Hand lag, die richtige Länge hatte und der paddeleigene Auftrieb des Holzpaddels die Rolle perfekt unterstützt. Und natürlich, weil ich unmittelbar vor dem Strand nicht aussteigen und an Land schwimmen wollte…
Ein teilbares Grönlandpaddel ist ein ideales Ersatzpaddel, auch wenn man mit Euroblatt unterwegs ist.
Mit etwas Übung und dem richtigen Paddel gelingt die Rolle mit dem Grönlandpaddel deutlich leichter als mit dem Euro-Blatt. Falls nicht, kann man per „gleitender Technik“ den Hebel so stark verlängern, dass man sogar „in Zeitlupe“ rollen kann. Youtube und andere Videoplattformen sind voll von Grönland-Roll-Videos. Es gibt etliche verschiedene Techniken, die spielerisch leicht aussehen (und es zum Teil auch sind). Für den Einstieg in das Thema Eskimorolle ist das Grönlandpaddel eigentlich sogar noch besser geeignet als das Europaddel, da zum einen der Auftrieb des Paddels hilft, das Paddel an der Wasseroberfläche auszurichten, da weiters die Form des Paddels eine gleitende Technik mit längerem Hebel unterstützt und da zu guter Letzt die fehlende Verschränkung dafür sorgt, dass der Aspirant beidseitig lernen kann und nicht überlegen muss, wie sie/er das Paddel halten muss, damit es nicht unterschneidet und absinkt.
Wieder ein Jahr nach vorne. Ist Grönlandpaddel gleich Grönlandpaddel? Und was gibt es noch? Punkt eins: nein. Wie bei den Euro-Blättern gibt es auch bei Grönlandpaddeln etliche Varianten. Die erste Entscheidung, die es zu fällen gilt, ist die des Materials. Typischerweise sind Grönlandpaddel aus Carbon oder aus Holz (sehr häufig Zeder und Esche oder Erle, es gibt aber auch Paddel aus anderen Hölzern). Was einem persönlich mehr liegt, ist Geschmackssache. Insbesondere im Winter bevorzuge ich Holz, weil es wärmer an den Händen ist als kaltes Carbon. Weitere Unterschiede sind die Länge - wie beim Euro-Paddel muss man hier tatsächlich ausprobieren, womit man selbst am besten zurechtkommt. Auch die Form der Blattenden hat einen großen Einfluss auf die Performance des Paddels für den einzelnen Paddler. Ein eher gerades Ende sorgt für etwas mehr Widerstand im Wasser, während ein eher rundes Ende für einen geschmeidigeren Ein- und Aushub sorgt und somit eher das Paddeln mit (noch) höherer Frequenz unterstützt. Wie weiter oben bereits erwähnt hat auch die Schaft- und Schulterform einen nicht zu vernachlässigenden Einfluss darauf, ob wir uns mit einem Paddel anfreunden oder nicht. Neben diesen Grundvarianten gibt es auch noch Spezialformen.
Seit diesem Jahr habe ich auch ein Sturmpaddel und ein Aleutenpaddel. Das Sturmpaddel wurde von den Inuit zu eben diesem Zweck verwendet: Paddeln bei Sturm. Es hat eine ähnliche Form wie ein „normales“ Grönlandpaddel, ist aber deutlich kürzer (ca. 1,80m). Das bedeutet, es wird kontinuierlich gleitend gepaddelt. Was sich beim ersten Versuch sehr merkwürdig anfühlt, macht bei hohen Windgeschwindigkeiten absolut Sinn, da kein Paddelblatt in der Luft ist und damit auch kein Windwiderstand überwunden werden muss. Auch als Ersatz-Grönlandpaddel ist ein Sturmpaddel gut zu verwenden, da es mit 40-50cm weniger Länge auch einteilig gut aufs Vordeck passt. Das Aleutenpaddel wurde von den Erfindern der aleutischen Baidarka entwickelt und genutzt. Es zeichnet sich durch ein asymmetrisches Blatt mit einer Lippe auf der Aktivseite und einer ausgeprägten Schulter am Schaft aus. Zusätzlich hat es relativ spitz zulaufende Enden. Wer sich bereits mit dem Grönlandpaddel angefreundet hat, kommt auch mit dem Aleutenpaddel wunderbar zurecht.
Unterwegs mit Aleuten- und Sturmpaddel aus Zedernholz.
Gehe ich jetzt nur noch mit Grönland- oder Aleutenpaddeln aufs Wasser? Nein, auch wenn ich sie sehr gerne paddele. Wenn Geschwindigkeit mein Ziel ist, nutze ich nach wie vor das Performance- oder Wing-Paddel. Wenn ich zum „Rock Hopping“ in den felsengarten gehe und möglichst viel Spaß zwischen möglichst engen Felsen haben möchte, besinne ich mich auf meine alten Wildwassertugenden und nehme ein kurzes Paddel mit großen Blättern. Zum Surfen und Brandungspaddeln ist ein Durchzugstarkes Euro-Paddel meine erste Wahl. Wenn ich Kurse gebe, nutze ich das was meine Schüler haben oder paddeln wollen – also normalerweise Euro, aber bei Bedarf oder Interesse auch Grönlandpaddel. Ich variiere gerne, auch auf Tour. Das sorgt für Abwechslung und hält sowohl Geist als auch Muskulatur flexibel. Oftmals bin ich mit einem Paddel (Euro oder Grönland) unterwegs und habe das andere als Ersatzpaddel dabei.
Margus Lelle (links) von EastPole Paddles aus Estland, Hersteller traditioneller Holzgrönlandpaddel.
Wer noch nie ein Grönlandpaddel in der Hand hatte, sollte das dringend einmal ausprobieren. Wer bisher nur Grönlandpaddel gefahren ist, sollte auch dem Euro-Blatt einmal eine Chance geben. Wie bei allen Paddeln gilt auch für die Wahl zwischen Euro- und Grönlandpaddel: möglichst viel ausprobieren um sich selbst eine auf Erfahrung basierende Meinung bilden zu können. Und wer das erste Mal ein Grönlandpaddel in der Hand hält: lasst Euch das von jemandem zeigen, der das schon einmal gemacht habt, damit Ihr nicht ein ganzes Jahr verschwendet bevor Ihr Euch wieder daran traut, so wie ich. Aber Vorsicht - es könnte sein, dass auch Euch ganz schnell nicht mehr nur ein Grönlandpaddel reicht...
Wir sehen uns auf dem Wasser!
Euer
Lars